die leda akte

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Die Geschichte der Leda

Die Heldengeschichte erzählt von etlichen weiblichen Wesen, Frauen und Nymphen an denen der Held gefallen fand und die der Held sich „nahm“. Weil der Held so mächtig wie potent war, zeugte er mit ihnen zahlreiche Kinder, die alle schön beziehungsweise stark waren.
Häufig in anderer Gestalt, als Wolke, als Adler, als Stier und neben weiteren als Schwan, aber immer gegen den Willen der Erwählten. Diese Geschichten erzählen vom Missbrauch. Das Sujet ist sexualisiert und dennoch sind es Sinnbilder der Ausbeutung und Inbesitznahme aller Menschen durch die jeweils Herrschenden.

Gerade die Geschichte der Leda wurde durch die Epochen immer wieder freizügig illustriert. Rubens, Da Vinci, Correggio, um nur einige zu nennen, haben wunderbare Bilder zum Thema geschaffen. Diese Motive nimmt Annette Wirtz auf, und stellt die Frage, wie Ledas Reaktion, hätte sie selbstbestimmt handeln können, ausgesehen hätte.

 

 

Chris Zintzen: „Mein lieber Schwan”: Zu Annette Wirtz’ Ausstellung Die Leda Akte 2.3

Projektraum Mag3, 1020 Wien, 27. Juni 2023

Genealogie

Leda und der Schwan, Leda mit dem Schwan: Kaum ein anderes mythologisches Geschehen ist derart prominent in der Kunstgeschichte, im Museum und im Salon präsent wie die Darstellung der nackten Leda, die sich in einem mehr oder weniger koketten – meist jedoch recht eindeutigen Handlungsspiel mit einem großen weißen Entenvogel befindet.
Es gibt einen (wenn auch nur als Kopie überlieferten) Michelangelo; es sind zwei Da Vinci-Arbeiten; ein Bild Correggios gestaltet den Ablauf der mythologischen Geschichte als synchrones Gruppenbild: Diese Ausstellung bezieht sich insbesondere auf Momente des kompositorisch interessanten Correggio-Bildes aus der Zeit nach 1530 sowie auf Peter Paul Rubens’ buchstäblich ge- und bedrängte Leda aus dem Jahr 1598.

Mitgedacht, wenngleich nicht direkt angespielt sind die Varianten, die etwa von François Boucher (1742) oder Paul Cezanne (1880/1882) bekannt sind; insgesamt aber sind uns allen, die wir zu dieser Ausstellung gekommen sind, unzählige vergleichbare Szenen in Erinnerung oder stehen uns in Form des Zierrates an Wiens historistischen Hausfassaden lebhaft vor Augen, wo mythologische Narrative nur schlecht verhüllen, was Sache ist: der allen Blicken wehrlos ausgesetzte nackte weibliche Leib.

Genre und Genus

Fasst man den Titel dieser Ausstellung DIE LEDA-AKTE einerseits als eine generische Evokation auf, tritt die Aktmalerei in der Kunstgeschichte auf den Plan; man könnte die AKTE aber gleichzeitig auch als das bezeichnen, was als „files” im Englischen „Ordner” im Sinne einer kriminalistischen Indiziensammlung verstanden wird.
Denn – und machen wir uns hier bitte nichts vor – das pittoreske Erzählgarn um das Mädchen Leda und den maskulin gelesenen Schwan stellt nicht anderes dar als eine der vielen Vergewaltigungsgeschichten, in welchen der allmächtige Zeus seine instantane Libido nicht anders als kraft einer Verwandlung in ein beliebiges Tier oder Element zu befriedigen vermag.
Über die Entstehung des Mythos im Kontext einer quasi-animistischen Naturreligion kann auch die Wissenschaft nur spekulieren, da dies im prähistorischen, also vor-schriftlichen Zeiten geschah, dann mündlich weitergegeben und erst später schriftlich aufgezeichnet und gesammelt worden ist.
Der piktoriale Leda-Mythos in der europäischen Kunstgeschichte weist zunächst auf die Zeit der Renaissance und die dieser Epoche innewohnende Befreiung des Kunstwollens (Alois Riegl) von den Fesseln des kirchlichen Katholizismus hin. Die Verwissenschaftlichung des künstlerischen Blicks (Aktstudien, Zentralperspektive) fand im Rahmen der Antikenrezeption nicht nur zahlreiche Vorbilder für die Gestaltung unbekleideter Körper, sondern in den mythologischen Erzählungen hinreichend Situationen und Szenen, die eine Aktdarstellung erlaubten, ohne dabei christliche Empfindlichkeiten zu verletzen.

Industrie-Antike, Antiken-Industrie

Vielleicht ankert in diesem historischen Moment der Renaissance eine „Invention of Tradition”, wie sie der Historiker Eric Hobsbawm charakterisiert hat. Form und Praxis werden in der Folge weitergeführt und entwickeln als solche ein eigenes Drehmoment, die Legitimierung der fortgesetzten Praxis unterliegt dabei einem ständigen Rückverweis auf eine (möglicherweise längst nicht mehr gültige) Legitimität.
Die mit fortschreitender Industrialisierung Europas bezeichnenderweise immer häufiger auftretenden Phasen von „Renaissancen” der Antikenrezeption (18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert) spülten die antiken Motive auch in der Kunst periodisch an die Oberflächen des Luxus und der Moden und versahen das technische Zeitalter umso häufiger mit öffentlich zur Schau gestellten nackten Leibern, je enger die Korsagen von Frauen (und auch Männern) geschnürt wurden. 
Pointiert gesagt: Je rauchender der Schlot also des Industrie-Zeitalters, desto arkadischer die Landschaften, in welchen der blütenweiße Leib einer nicht durch etwaige Arbeitslast gezeichneten Leda in Verwicklungen mit einem nicht minder blütenweiß gefiederten Schwan gemalt, gezeigt – und verkauft – wurde. Gemalt, gezeigt, verkauft und gekauft wurde derlei, wie man heute pikiert (oder auch scheinheilig) festzustellen pflegt, von Männern.

Individuation und instrumentelle Vernunft

Was aber wurde da gemalt, gezeigt, verkauft und gekauft? – War es eine kulturelle Kompensation eines durch Fleiß und Industrie ernüchterten Lebens? War es eine Projektion (im Sinne eines Heils- und Heilungsversprechens) der Hoffnung auf eine paradoxerweise durch Fortschritt zu erlangende Rückkehr zu einer fiktiven Ursprünglichkeit, wo der eigene bürgerlich-kapitalistische Aufstieg zum stolzen Schwan gerade in der Verführung und Überwältigung des vielleicht ewig Entgegengesetzten – Natur, Frau, Jetzt – sich zu vollziehen habe?
Ein solches Gedankenspiel mag zunächst belustigend anmuten oder gar als Sarkasmus amüsieren. Ich finde, es weht uns daraus allerdings an eine tiefe Traurigkeit über die Verhältnisse einer Erziehung, Tradierung und Kultur, welche den Prozess der Individuation nicht anders zu denken imstande sind als, dass erst zum Subjekt wird, wer andere (Menschen) oder anderes Sein (Tier, Natur) zum Objekt degradiert.
Die instrumentelle Vernunft (Adorno/Horkheimer), welche die Welt, deren Ressourcen und Lebewesen als Objekte begreift und nicht etwa in der jeweiligen Würde, Autonomie und Subjekthaftigkeit anerkennt, hat uns dahin gebracht, wo wir heute stehen: Sie fügen hier bitte selbst ein, welche Daten und Fakten zu „man-made ecological disasters” Ihnen persönlich in den Sinn kommen.

Den Schwan rupfen

Hier aber nun, in dieser Ausstellung von Annette Wirtz – vielen von Ihnen, werte Damen und Herren aus ihrer Wiener Zeit und als Schülerin Maria Lassnigs bekannt – wird der Spieß umgedreht. Wir erleben Leda in ihrer ausweglosen Bedrängtheit, wir erkennen den haltlosen Zeus als windigen Gauch und wir dürfen, auf dem Schwanensofa Platz nehmend, anhand eines diskreten Stationendramas erleben, wie Leda – im Verein mit der akklamieren Tänzerin Josephine Baker – den Schwan rupft.
Denn ja, es wäre um vieles in dieser Welt ein wenig besser bestellt, wenn manches hypertrophe Ego ein paar Federn ließe: Mit den resultierenden Daunen wüsste man schon etwas anzufangen! 

Leb wohl! Leb wohl, mein lieber Schwan! (Richard Wagner, Lohengrin, 1. Akt, 3. Szene)

Dr. Chris Zintzen, Autor und Kulturwissenschafter, Wien

https://panamproductions.blogspot.com